16. Kapitel

Der uneinsichtige Kleriker

 

(II,16,1)

Damals wurde ein Kleriker der Kirche von Aquino von einem bösen Geist gequält. Der ehrwürdige Constantius, der Bischof dieser Kirche, hatte ihn schon zu den Grabstätten vieler Märtyrer geschickt, damit er dort Heilung finde. Die heiligen Märtyrer wollten ihm aber die Gesundheit nicht schenken; es sollte deutlich werden, welch große Gnadengabe Benedikt besaß.

Man brachte den Mann also zu Benedikt, dem Diener des allmächtigen Gottes. Dieser flehte zum Herrn Jesus Christus, und auf der Stelle trieb er den Alten Feind aus dem Besessenen aus. Den Geheilten aber wies er an: »Geh und iss von nun an kein Fleisch mehr! Untersteh dich, jemals nach einer heiligen Weihe zu streben! Solltest du aber eines Tages so vermessen sein und es trotzdem wagen, dich weihen zu lassen, wirst du auf der Stelle wieder der Gewalt des Teufels verfallen!«

 

(II,16,2)

Der Kleriker ging gesund nach Hause. Zunächst befolgte er alles, was ihm der Mann Gottes aufgetragen hatte; denn eine gerade angedrohte Strafe versetzt den Menschen in Schrecken.

Im Lauf der Jahre starben nun alle älteren Kleriker, und er musste mit ansehen, dass Jüngere durch die Erteilung der heiligen Weihen einen höheren Rang erhielten als er. Da achtete er nicht mehr auf das, was ihm der Mann Gottes einst gesagt hatte. Als hätte er es nach so langer Zeit vergessen, bewarb er sich um die heilige Weihe. Sogleich ergriff ihn der Teufel wieder, der ihn verlassen hatte, und peinigte ihn so lange, bis er starb.

 

Über die Kenntnis der Entscheidungen Gottes

 

(II,16,3)

PETRUS: Wie ich sehe, hatte Benedikt sogar Einsicht in die Geheimnisse Gottes. Er erkannte, dass dieser Kleriker dem Teufel ausgeliefert war, damit er den Schritt zur heiligen Weihe nicht wagte.

GREGOR: Wie sollte einer die Geheimnisse Gottes nicht kennen, der die Gebote Gottes befolgt? Es steht doch ge schrieben: »Wer sich an den Herrn bindet, ist ein Geist mit ihm.« [1Kor 6,17]

 

(II,16,4)

PETRUS: Wenn derjenige mit dem Herrn ein Geist wird, der sich an ihn bindet, wie kann dann derselbe bedeutende Prediger ein anderes Mal sagen: »Wer hat die Gedanken des Herrn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen?« [Röm 11,34] Es erscheint doch sehr unangemessen, dass einer die Gedanken dessen nicht kennen sollte, mit dem er eins geworden ist.

 

(II,16,5)

GREGOR: Soweit die Heiligen mit Gott eins sind, sind ihnen 5 die Gedanken des Herrn wohlbekannt. Derselbe Apostel sagt )a auch: »Wer von den Menschen kennt den Menschen, wenn nicht der Geist des Menschen, der in ihm ist? So erkennt auch keiner Gott, nur der Geist Gottes.« [1Kor 2,11] Um zu zeigen, dass er um die Gedanken Gottes weiß, fügt er hinzu: »Wir haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott stammt.« [1Kor 2,12] Darum sagt er auch: »Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist, das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben; denn uns hat es Gott enthüllt durch den Geist.« [1Kor 2,9-19]

 

(II,16,6)

PETRUS: Wenn also dem Apostel durch den Geist Gottes die Gedanken Gottes geoffenbart worden sind, wie konnte er dann kurz vor den eben angeführten Worten sagen: »O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege!« [Röm 11,33] Doch während ich das sage, kommt mir eine andere Frage in den Sinn. Der Prophet David sagt zum Herrn: »Mit meinen Lippen verkünde ich alle Entscheidungen deines Mundes.« [Ps 119,13] Nun ist Kennen weniger als Verkünden; wie kann dann Paulus sagen, die Entscheidungen Gottes seien unergründlich, während David bestätigt, dass er dies alles nicht nur erkenne, sondern auch verkünde?

 

(II,16,7)

GREGOR: Beide Fragen habe ich dir eben schon kurz beantwortet. Ich sagte ja, dass die Heiligen die Gedanken des Herrn kennen, soweit sie mit dem Herrn eins sind. Alle, die dem Herrn mit Hingebung nachfolgen, sind in dieser Hingabe mit Gott verbunden. Andererseits sind sie nicht mit Gott verbunden, da sie noch die Last des vergänglichen Fleisches zu tragen haben. Sie kennen also die verborgenen Entscheidungen Gottes, sofern sie mit ihm verbunden sind; sie kennen sie nicht, sofern sie von ihm getrennt sind. Weil sie nicht vollkommen in seine Geheimnisse eindringen können, sagen sie, seine Entscheidungen seien unbegreiflich. Weil sie ihm aber im Geist verbunden sind und ihn durch diese Verbundenheit erkennen - aus der Heiligen Schrift oder aus besonderen Offenbarungen, soweit sie solche empfangen -, wissen und verkünden sie seine Entscheidungen.

Entscheidungen, über die Gott schweigt, kennen sie also nicht; welche Gott aber offenbart, die kennen sie.

 

(II,16,8)

Wenn daher der Prophet David sagt: »Mit meinen Lippen verkünde ich alle Entscheidungen«, fügt er gleich hinzu: »deines Mundes« [Ps 119,13]. Damit will er offenkundig sagen: jene Entscheidungen kann ich erkennen und verkünden, von denen ich weiß, dass du sie ausgesprochen hast. Denn was du nicht sagst, das verbirgst du zweifellos unserer Erkenntnis. So stimmen also das Wort des Propheten und das des Apostels überein: Die Entscheidungen Gottes sind unbegreiflich; welche er aber selbst ausgesprochen hat, die können auch menschliche Lippen verkünden. Was Gott ausspricht, können die Menschen erkennen, aber nicht das, was er verbirgt.

 

(II,16,9)

PETRUS: Durch meinen bescheidenen Einwand ist die Sache klar geworden. Aber erzähle bitte weiter, was es von den Wundertaten dieses Mannes noch zu berichten gibt.

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Barmherziger Gott,

durch die Geburt

deines Sohnes

aus der Jungfrau Maria

hast du der Menschheit

das ewige Heil geschenkt.

 

Lass uns immer und überall

die Fürbitte der gnadenvollen

Mutter erfahren,

die uns den Urheber

des Lebens geboren hat,

Jesus Christus,

deinen Sohn,

unseren Herrn und Gott,

der in der Einheit

des Heiligen Geistes

mit dir lebt und herrscht

in alle Ewigkeit. Amen


(Tagesgebet am Hochfest

der Gottesmutter Maria

1. Januar)